Unter dem Titel KNOSPENKNALL
fand am 27. April 1996 die nun schon zwölfte THEATERNACHT im FEZ an
der Wuhlheide statt. Neben Aufführungen von acht verschiedenen Jugendtheatergruppen
gab's einen Literarischen Salon. Aktionsmalerei sowie Musik nicht
nur zum Hören, sondern auch zum Selbermachen bei der "Klangschmiede",
die im Foyer zahlreiche selbstentwickelte Klanginstrumente aufgebaut
hatten.
Im Foyer spielte auch,
trotz des störend hohen Geräuschpegels, in einem von rotweißem Baustellenband
begrenzten Viereck, die Gruppe "The Wild Bunch": Ihr Stück REQUEST
STOP basiert auf einem Einakter von Harold Pinter, der mit einer knappen
Seite Text nichts weiter vorgibt als den Monolog einer Frau an einer
Bedarfs-Bushaltestelle, während die in der Schlange Wartenden weder
sprechen noch als Personen festgelegt oder gar charakterisiert sind
(außer: "small man", "a lady", "the others", "a man"). Einzige konkrete
Regieanweisung des Autors ist das elfmalige : "Pause".
Der Monolog der Frau beginnt
mit einer harmlosen Frage nach dem Zielort des Busses, wird ohne ersichtlichen
Grund immer zudringlicher und aggressiver gegen die Personen in der
Warteschlange and gipfelt schließlich in Beleidigungen, Unterstellungen,
Drohungen. In Pinters Text entziehen sich die Wartenden dieser Situation,
indem sie alle in Richtung des endlich auftauchenden Busses davonrennen.
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Die Inszenierung von Ilka
Felcht treibt des Spiel jedoch weiter: Die stummen Wartenden werden
zu einer Gruppe, beginnen die nach Aufmerksamkeit and Zuwendung heischenden
Provokationen der Frau nicht nur mit einzelnen, ihren eigenen Gewaltgelüsten
entspringenden Reaktionen zu beantworten, sondern sie schließlich
auszugrenzen and als Kollektiv zu kontern. Die kontinuierlich aufgebaute,
durch Live-Musik unterstrichene Spannung entlädt sich zu einem brutalen
Anschlag: Die lästig and beängstigend gewordene Außenseiterin (die
in grotesker Verkehrung die Wartenden als Typen, als unerzogene Flegel
and Kanaken bezeichnet) ist plötzlich Feindin. Sie wird mit einem
Absperrband an das Haltesignal der Busstation gebunden, mit einem
Stoffetzen geknebelt und alleingelassen. Laut brabbelnd protestiert
die Frau - aber für die Zuschauer bleibt es quälend ungewiß, ob sie
nur protestiert, weil sie in ihrem Redefluß gehemmt ist oder ob sie
wirklich um Hilfe ruft. Eingreifen? Stellung beziehen? Von wem geht
hier die Gewalt aus? Wen sprechen wir schuldig? Wem gehört unsere
Sympathie?
"Am Anfang war uns das
wichtigste, ein Stück übers Schweigen zu machen, and dieses unüberhörbar.
Die kritischste Situation in der Gruppe war die Besetzung der Frau,
jeder mußte sich probierend hineinbegeben and Techniken finden, sich
zu behaupten. Bei dem zeitweiligen Spiel 'Eine gegen alle' mußten
wir uns immer wieder klarmachen, daß die Gemeinheiten der anderen
nur der Figur galten, nicht der Privatperson."
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Das beunruhigend-aufrüttelnde
Stück wurde von Ilka Felcht ursprünglich für den Kurs Darstellendes
Spiel des Robert-Koch-Gymnaisums inszeniert. Die Theater-AG "The Wild
Bunch", der "Wilde Haufen", übernahm das Stück, da die erforderliche
intensive Probenarbeit innerhalb des Kurses nicht möglich war.
"Wild Bunch" hat eine Tradition
von Spielformen, die sich deco gesprochenen Text fernhalten , die
auf Mimik, Gestik and Körpersprache bauen sowie Musik suchen, die
das Spiel trägt. Die Gruppe geht diesen Weg bewußt, um sich ein künstlerisches
Gegengewicht zu schaffen gegen eine gymnasiale Bildung, die oft den
Kopf schwer, den Körper and die Seele aber leer macht.
Die Altersspanne der bereits
seit 1978 bestehenden Gruppe ist groß, liegt derzeit zwischen 16 and
24 Jahren, weil erfreulicherweise viele Schulabgänger ihr treu blieben:
6 von 21 Mitgliedern sind Ehemalige. Die Schulleitung nahm das zum
Anlaß, der Arbeitsgemeinschaft, weil "schulfremd", die Unterstützung
aufzukündigen. Ein unerfreulich-kurzsichtiger Akt, der nicht dazu
angetan ist, der Englischlehrerin and Spielleiterin Ilka Felcht Mut
and Elan zur Fortsetzung ihrer streß- and frustreichen Theaterarbeit
zu geben.
Gerhard Heß
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