Liebt
mich nicht zu sehr!
Im
Rahmen des "16. arbeitstreffens SCHULTHEATER Berlin ´98"
stellte die Gruppe "The Wild Bunch" des Robert-Koch-Gymnasiums
Szenen vor, die "Brecht als Liebenden" thematisierten. Auf
der Suche nach "ihrem Brecht" beschäftigten sich die
Jugendlichen (die jahrgangsübergreifende AG bindet auch "Post-AbiturientInnen",
die das Theaterspielen nicht missen können oder wollen) mit seinen
Gedichten, Briefen und Liedern. So entstanden unter Anleitung der Spielleiterin
Ilka Felcht Szenen, die weniger episch als mehr leidenschaftlich Liebe,
Lust, Angst, Klage, Anklage, kurs: "Lieben in einer schlechten
Zeit" zum Inhalt hatten.
Schon
zu Beginn geschah die sinnliche Einstimmung der ZuschauerIn über
das Sehen und Hören hinaus. Auf dem rechten vorderen Rand saß
der junge Brecht an einem kleinen Schreibpult, schreibend, dichtend
und vor allem Zigarre rauchend. Es stank. Was zumindest die ZuschauerInnen
in den ersten Reiehen übereinstimmend feststellten. Eine allgemeine
Ungewaschenheit, über den Tabakatem hinaus, war dann auch Inhalt
der "Gardinenpredigt" einiger Geliebter Brechts. Die vorwurfsvolle
Aufzählung von störenden "schlechten Angewohnheiten"
des Genies wurden jedoch immer wieder entkräftet durch bewundernde,
schmachtende, verliebte und diensteifrige Blicke der Gespielinnen. (Die
Tatsache, daß "seine" Frauen auch eifrige (Mit-)Produzentinnen
seiner Arbeiten waren, war nicht Gegenstand der szenischen Betrachtungen,
sie wurde wohl als inzwischen bekannt vorausgesetzt.)
Etliche
Texte fanden ihre einfallreiche Untermalung durch großformatige
eingespielte, im letzten Sommer / Herbst von der Gruppe aufgenommene
Videos. Die betreffende SchauspierIn auf der realen Bühne fungierte
zunächst einleitend, dann kommentierend oder, wie der Zuschauer,
ebenfalls betrachtend. Wenig war bierentst, gerade duch die Filme gab
es viel zu lachen, aber kein Weglachen vom Thema. Die Tragik der Liebe
ist bei Brecht zumeist auch eine komische, so wie bei der Gräfin
und dem Förster oder die Forderung einer Patientin nach ihrem geregelten
Geschlechtsverkehr vor den, nicht nur, peinlich berührten Ärzten.
Liebe-
und lustvoll umgesetzt war auch Brechts brieflich dokumentierte, wohl
permanente Angst vor unfreiwilliger Zeugung von Nachwuchs - dominiert
von der Befürchtung, diesem "fassungslos" gegenüberzustehen.
Die Videosequenz zeigte eine Horde von wilden, brechtisch bebrillten
Kindern, die den Meister wahrlich um seine Fassung und sein auch äußeres
Gleichgewicht brachte.
Eindrucksvoll
besang eine Frau die von ihrem Mann erhaltenen Beutestücke aus
den eroberten Ländern, während andere "Soldatenweiber"
von der Decke baumelnde alte Briefkästen öffneten, um die
jeweiligen Gaben unter Gekicher und mit verhaltener Freude und Eitelkeit
in Empfang zu nehmen. Hinter der singenden Soldatenfrau wurde der Beutezug
durch eine sich im Laufschritt bewegende Gruppe Uniformierter verdeutlicht.
Mit ihr, in ihr, lief auch schon der Tod, grotesk und lebhaft, um dann
bei der letzten Strophe aus der Gruppe auszubrechen und deutlich die
"Gabe" des weiten Rußland zu demonstrieren - die kichernden
Weiber erstarrten in ihrer Bewegung und Mimik.
Nicht
unwesentlich für das Gelingen dieser Collage ist das schauspielerische
und stimmliche Vermögen der Mitwirkenden. Die nicht einfachen,
weil oft vieldeutigen Inhalte bedürfen eines guten Vehikels, um
beim Zuschauer anzukommen. Das leichte Augenzwingern, der akzentuierende
Hüftschwung, ein kleines Innehalten im Spiel können entscheidende
"Transportfaktoren" sein. Durchgängig trugen die DarstellerInnen
ihre Rollen ( die im eigentlichen Sinne keine waren, vielleicht von
Brecht abgesehen), es bedarf keiner wohlwollenden, aber nichtsdestotrotz
schmälernden Hinweise auf "Schülertheater" und "work
in progress" etc. Das war eine gelungene Theateraufführung
für ein breites Publikum. Unfertig lediglich in dem Sinne, daß
die Collage noch größer, vielleicht bunter (und hoffentlich
nicht wesentlich verändert) werden soll, wenn sie sich am 3. und
4. Juni auf die Bretter der Probebühne des Berliner Ensembles wagt
und Teil des dortigen Brecht-Sommers werden wird.
Carola Thiede
SpielART, Berlin
Nr. 9, 3. Jahrgang 1998