Kritiken

"Tu mir den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr"

Kein Respekt, diese Jugend: Ein Brecht-Marathon mit Schülertheatergruppen im Berliner Ensemble

Es ist noch ein bißchen hin bis zur großen Jubelfeier. Erst am 10. Februar 1998 steht der 100. Geburtstag von Berthold Brecht auf dem Kalender. Weil der in Augsburg geborene, 1956 in Ost-Berlin gestorbene Dramatiker sich nicht mehr gegen den Rummel wehren kann, obliegt die Regie des Brecht-Jahres manchen Theatermachern, die sich vor allem selbst darstellen wollen. Damit die für '89 anvisierten Brecht-Premieren noch grandioser strahlen, dürften ein paar weniger professionelle Exkursionen im Vorfeld nicht schaden, oder? Wie wäre es denn mit einem Marathon von Schultheatergruppen?

Das macht sogar pädagogisch Sinn. Wenn das Werk des wohl größten Theatererneuerers des 20.Jahrhunderts im Unterricht nicht nur theoretisch durchgepaukt, sondern auch spielerisch abgeklopft wird, kann die Sache an sich nur gut sein. Um so erfreulicher, daß sie dann wirklich gut wurde und die auf die Bühne des Berliner Ensembles gehievten

Auseinandersetzungen mit Brecht so frisch über die Bühne kamen. Dabei sah es am Anfang eher dilettantisch aus. Denn was die Theater-AG der Wilmersdorfer Walter-Rathenau-Oberschule mit der "Verurteilung des Lukullus" anstellt, ist zunächst kaum mehr als lausiges Laienspiel.

Sobald aber Paul Dessaus im Atonalen gründelnde Musik erklingt, ist alles ganz anders. Das Orchester schlägt sich wacker durch das Notengestrüpp, die Darsteller finden einen eigenen Ton. Was sie in ihren ungelenken Bewegungen verzappeln, zeigen sie halt mit Musik: Kriege bringen den Herrschenden Profit, den Untertanen Unglück.

Da gehen die Oberschüler vom Robert-Koch-Gymnasium aus Kreuzberg anders zu Werke. Sie haben sich "Kuhle Wampe", den von Brecht inspirierten, von Hanns Eisler vertonten Film von 1932 vorgenommen. Spielen aber nur mit den sozialkritischen Themen, verlängern sie durch freies improvisieren ins Aktuelle. Beeindruckend, wie einfach es sein kann, Brechts Ästhetik in die 90er Jahre zu verlängern. Und auch, was die ebenfalls von der Robert-Koch-Oberschule kommende Theatergruppe "Wild Bunch" mit Liedern und Gedichten Brechts anstellt. In einer furiosen Video-Musik-Show-Performance entdeckt der wilde Haufen in Brecht den erotischen Berserker. Das ist manchmal ziemlich deftig. Und wenn ein süßer Engel sich die Hose aufknöpft und das Hohelied vom Ficken anstimmt, dürften einige der Eltern rote Ohren bekommen haben.

"Tu mir den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr", ist der Höhepunkt des Brecht-Marathons. Wer danach kommt, hat kaum noch eine Chance. Zum Beispiel die Dreilinden-Oberschüler aus Wannsee. Sie mühten sich redlich mit der "Dreigroschenoper" doch wenn die Weill-Musik schweigt, verheddern sich Mackie Messer und Co. Zusehends in unbeholfenes Herumgefuchtel. Ähnlich ergeht es der Martin-Buber-Oberschule aus Spandau. Ihre Version von Vaclav Havels "Gauneroper", wie Brechts "Dreigroschenoper" eine Fledderung von John Gays "Bettleroper", ist immer dann stark, wenn die von Jens Blockwitz eigens komponierten Songs das Laienspiel über die korrupte Gesellschaft aufbrechen.

Insgesamt hätte all das Brecht zweifellos gefallen. Denn wenn der notorische Neudenker und veränderungswütige Umdeuter eines nicht mochte, dann war es devote Ehrfurcht. Angst vor den Säulenheiligen des deutschen Bildungsguts haben die Berliner Schülertheater jedenfalls nicht.

Frank Dietschreit
Der Tagesspiegel, Berlin, 04.11.1997

 


 

Brecht-Programm: Liebe ist eine Dummheit

Brecht und die Frauen - ein dankbares Thema im Jahr des 100. Dichter-Geburtstags. Wieviel von seinen Texten der große bb wohl von seinen Geliebten geklaut hat? Doch diese Frage interessiert die Kreuzberger Theatergruppe The Wild Bunch wenig. Die Jugendlichen haben die Briefe, Lieder und Gedichte gelesen, die Brecht als liebenden Menschen zeigen. Und sie haben diesen Menshen für ihre Inszenierung "Tue mir also den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr" ernstgenommen: mit all seinen Schwächen und Brüchen.

Regisseurin Ilka-Cordula Felcht läßt Zweier-Szenen von Gruppenbildern ablösen, in denen die Lieder von unterschiedlichen Pianisten auf ihre musikalische Veränderbarkeit überprüft werden un der Text mit ironischen Gesten kommentiert wird. Den jungen Darstellern gelingt es vorzüglich, die Balance zwischen dem große Gefühl und dem Augenzwinkern über die Dummheiten des Verknalltseins zu halten.

Kommentiert wird das Geshcehen immer wieder durch Filmeinblendungen: Sie sind keine dramaturgischen Mätzchen, sondern eine witzige Ergänzung, die zudem den Bogen von Brechts Welt in unsere Gegenwart spannen.

"Unverkrampft" hatte sich Bundespräsident Roman Herzog die Deutschen bei seinem Amtsantritt gewünscht. Unverkrampft ist auch das richtige Wort für den Umgang der Gruppe mit dem modernen Klassiker Brecht. Zwei Vorstellungen auf die Probebühne des Brecht-Tempels Berliner Ensemble sind eindeutig zu wenig.

Christian Schindler
Berliner Morgenpost


 

"The Wild Bunch" mit dem liebenden Brecht auf der Bühne
"Tue mir also den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr"

KORBACH. "Tue mir also den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr" nennt die Jugendtheatergruppe "The Wild Bunch" aus Berlin ihr Stück schön und treffend - eine szenische Darstellung über einen liebenden und geliebten Bertolt Brecht, die am Montag Abend den Auftakt zur 20. Korbacher Theaterwoche hervorragend gestaltete.

Liebe, alles dreht sich in dem Stück um die Liebe, wie sie sich für Bertolt Brecht in ihren vielfältigen Formen und Konsequenzen darstellte - oder ihm grob verborgen blieb. Um den liebenden Brecht auf der Bühne zu zeichnen, kombinierten "The Wild Bunch" Gedichte, Briefe und Lieder des Schriftstellers und Regisseurs auf originelle Weise mit Schauspiel, Musik und gar Film und transportierten so Brechts Verhältnis zu Liebe, Frauen und zum Lieben collagenhaft ins Scheinwerferlicht. Jede Szene zeigte sein Verhältnis zum anderen Geschlecht eindeutig, jede Szene eine andere Sicht. Diese Vielfalt gestattete dem Zuschauer die Freiheit, sich sein eigenes Bild vom liebenden Brecht zu machen.

Jede Szene eine Sicht

Die einzelnen Szenen standen dabei für sich allein und waren dennoch miteinander verbunden, freilich durch das Thema und nicht zuletzt über die gewählte Reihenfolge: Ewig nörgelnde Frauen zeigten sich etwa mit der "Gardinenpredigt" auf der Bühne, die Frau als erotisches Lustobjekt zeigte sich in dem Gedicht "Über die Verführung von Engeln." Die Unmöglichkeit von Nähe thematisierte ein Paar mit dem Lied "Wir waren miteinander nicht befreundet, doch haben wir einander beigewohnt".
Wo die Schauspieler nicht mit Sprache, ihrer teilweise wunderbar aussagekräftigen Mimik und Gestik und dem kargen Bühnenbild auszukommen glaubten, setzten sie das Medium Film ein. Die Inhalte der Briefe auf der Leinwand zu verbildlichen, war gut umgesetzt und wirkte erfreulich überraschend - obwohl gar nicht so weit hergeholt: Die filmische Umsetzung kommt in gewisser Weise Brechts literarischer Verfahrensweise entgegen, bei der er versuchte, auf sprachliche Weise zu gestalten, was der Film mit seinen Mitteln zu zeigen vermag.
Dabei schufen die Darsteller zumeist stille und ästhetische Bilder, deren stimmungsvolle Atmosphäre durch Klaviermusik noch unterstrichen wurde. Sie nutzten den Film aber auch für sarkastische Einschnitte, indem sie eine Umkehr dessen auf der Leinwand zeigten, was erzählt wurde. Während zum Beispiel ein Darsteller aus Brechts Brief las: "Bedenke, wenn es dir schlecht geht, daß Leben anderswo schön ist und mit Aufnahmen von Freunden, die eben noch herzlich lachten - nun dahingemetzelt, tot.

Ideen, spielerische Leistungen und filmische Umsetzung waren teilweise sehr gut, wenngleich die Filme mitunter etwas zu lang schienen. Freilich blieb der politische Brecht in der Auswahl der Texte nicht verborgen, etwa im "Lied vom Förster und der schönen Gräfin" oder in der gut gespielten Szene, in der das Ideal verkehrt wird und ein Arzt zu einer Schwangeren sagt: "Nun sein 'se mal 'ne nette Mutter und schaffen Maschinenfutter. Dazu ham 'se schließlich den Bauch." Dabei schlüpfte die schwangere Frau auf der Bühne auch in die Rolle des Arztes - was der Aussage noch die Krone aufsetzte. Explizit politisch auch die Schlußszene, in der die Gruppe das Lied "Soldatenweiber" darstellte: Frauen huschten erfreut vor Briefkästen, aus denen sie nach und nach Geschenke ihrer Männer fischten, während im Hintergrund Soldaten auf der Stelle marschierten, den Tod in ihrer Mitte.
Doch immer wieder zeigten die Darsteller auch Szenen auf ironisch-lustige Weise, zum Beispiel "Frauen auf der Bank", die verschmitzt ablasen, wer wo mit wem . . ., oder, raffiniert gespielt, "eine Frau im Spital". Auch Brechts immanente Furcht vor Vaterschaft karikierten sie ironisch-süffisant: Während ein Darsteller auf der Bühne einen Brief vorlas, in dem Brecht seinem Unglück über eine mögliche Vaterschaft freien Lauf 1äßt - "einem Kind stände ich fassungslos gegenüber" -, zeigen die Darsteller auf der Leinwand viele lachende Kinder, die fröhlich und keck in die Kamera schauen. Witzigerweise sind die lebenslustigen Wesen, wie Brecht selbst, mit einer runden Brille ausgestattet und tollen um den Schriftsteller herum, der sich unbeholfen an einem Buch festhält - bis sie ihn schließlich überrumpeln.

Ein liebevoll Liebender

Die Texte und ihre Auswahl könnten den Konsensus bestärken, der allgemeinhin über Brecht zu bestehen scheint - Brecht liebte die Frauen nicht, die Frauen liebten Brecht. Doch die Darsteller wollten ihm eine liebevolle Haltung unterstellen. Und wer auf das geltende Bild nicht allzu fixiert war, der konnte in der Auswahl der Texte und der Inszenierung auch einen tendenziell liebevoll liebenden Brecht entdecken. Frei nach dein Motto: "In diesem traurigen Leben ist die Liebe immer das Sicherste" - oder auch nicht.

Marianne Dämmer
Waldeckische Landeszeitung, 20.05.1998


Nachbetrachtung:
Tue mir also den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr

Am Montagabend führte die Berliner Theatergruppe "The Wild Bunch" (Der wilde Haufen) ihr Stück "Tue mir also den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr" auf Mit diesem Stück wollte die Gruppe dem Publikum Bertolt Brecht als Menschen nahe bringen, der nicht nur der "Macho" war, als der er immer dargestellt wird, sondern auch ein liebevoller Mensch. Die Aufführung setzte sich aus Szenen zu verschiedenen Briefen und Gedichten Brechts zusammen, die in keiner chronologischen Beziehung zueinander standen. Die Schauspieler hatten bereits im Voraus einzelne Gedichte und Briefe in ihren eigenen Interpretationen gespielt, und brachten diese Teilstücke als klavierbegleitete Videovorführungen in die Lesungen der einzelnen Stücke ein.

Die Aufführung begann mit der "Gardinenpredigt", bei der sieben Frauen dem an seinem Schreibpult sitzenden Brecht Vorhaltungen über seinen Mangel an Reinlichkeit und sein schlechtes Benehmen machten. Ein direkter Zusammenhang zum Thema hat sich für mich jedoch nicht ergeben.
Verständlicher hingegen war die anschließende Beschreibung von Brechts vergeblichen Bemühungen, die englische Prinzessin Bibesco für seinen Kampf gegen den Faschismus zu gewinnen. Diese Erzählung wurde von einer Videovorführung begleitet. Das Video gab die Szenerie und die Gedanken Brechts übersichtlich und humorvoll wieder. Interessant war die Darstellung der Prinzessin mit einer Hundemaske auf dem Kopf.
In der Szene "
Wie man einen Engel verführt" hörte man Aufforderungen wie "... und dann fick ihn!" Diese provokanten und vulgären Äußerungen ließen nicht das Bild eines liebevollen Menschen, sondern das eines "Machos" im Gedächtnis des Zuschauers zurück.
Andere Geschichten und Briefe zeigten den liebevollen Menschen Brecht. Nahezu zärtlich berichtete Brecht in einem Brief an Caspar Neher über seine damalige Freundin und über seine Befürchtung, Vater zu werden.
Auch mit Brechts Verhältnis zum Nationalsozialismus beschäftigte sich die Gruppe. Besonders interessant war eine Szene in der Frontsoldaten ihre Frauen küßten, während zugleich ein Mann in SA Uniform den Tod, verkörpert durch eine Schauspielerin mit Totenkopfmaske, küßte. Auf diese Art wurden der Nationalsozialismus und das von ihm ausgehende Unrecht, wie zum Beispiel Judenverfolgung und Krieg, treffend karikiert.

Der Einbau der Videos in die Aufführung stellte ein zwar ungewohntes, aber dennoch gelungenes, Mittel dar. Durch sie wurde es für das Publikum einfacher, die Texte Brechts in der Interpretation der Berliner zu verstehen, verursachte jedoch zugleich, daß sich das Publikum selbst nicht oder nur schwer ein eigenes Bild machen konnte.

Problematisch war auch der Zusammenhang der einzelnen Szenen: Die Hauptfigur blieb am Rande und wurde in das Geschehen nur wenig einbezogen. Eine chronologische Reihenfolge war nicht vorhanden. Stattdessen saß "Brecht" fast die ganze Zeit über mit dem Rücken zum Publikum an seinem Schreibpult. Die Einzelszenen wurden ohne mir erkennbaren Zusammenhang nacheinander aufgeführt. Dieses "chronologische Chaos" wirkte verwirrend und erschwerte die Erkennung von Zusammenhängen ungemein.
Nur sehr wenige Zuschauer verstanden, daß die Szene, in der zwei Nationalsozialisten Brecht das Schreibpult wegnahmen und dieser von der Bühne rannte, Brechts Gang ins Exil darstellen sollte. Auch einige skurrile Elemente, wie zum Beispiel ein Ziegenbock mit E-Gitarre, wirkten schwer verständlich.
Positiv fielen hingegen die Gestaltung der Videos und die Begleitmusik auf. Durch ihre humorvolle und teilweise skurrile Gestaltung erleichterten sie zumindest an einigen Stellen das Verständnis der Inhalte und lockerten die Aufführung merklich auf. Die Musik paßte sehr gut zu den einzelnen Teilen und gestaltete das Theaterstück angenehmer.
Das Ziel der Berliner Gruppe, Brecht als gefühlvollen Menschen darzustellen, wurde, wenn auch nicht vollständig, zumindest größtenteils erreicht. Einige Stellen, wie die Verführung des Engels, trübten jedoch den Gesamteindruck und ließen Brecht auch als "Macho" dastehen.

Alles in allem war das Stück von der Idee und der visuellen Gestaltung her zwar gelungen, die Tatsache, daß die Zusammenhänge oder ein "roter Faden" völlig fehlen, wirkt sich jedoch negativ aus. The Wild Bunch gab jedoch in der auf die Aufführung folgenden Diskussion zu, daß noch am Stück gearbeitet werde. Warten wir also ab, wie die Endfassung aussieht.

Dennis Wieck
Spotlight - Zeitung der Theaterwoche Korbach - Nr. 2 19.05.1998


Diskussion:
Tue mir also den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr

Nachdem Tilo Hertel als Diskussionsleiter alle begrüßt und die Gruppe vorgestellt hatte, konnte jeder, der wollte, seine Ansichten zu dem Stück äußern. Zuerst hatte anscheinend niemand eine Meinung zum Stück, aber als Tilo dann vorschlug, doch erst mal über das Positive zu sprechen, fanden sich doch auch ein paar, die etwas zu sagen hatten. Allgemein wurde die schauspielerische Leistung gelobt und auch die deutliche, klare und laute Aussprache empfunden. Als interessant sahen die Zuschauer die individuelle Gestaltung jedes einzelnen Textes an.- In dem Zusammenhang wurde aber auch die filmische Inszenierung kritisiert, da viele sie trotz guter Gestaltung als zu lang und/oder zu dominant empfanden. Es wurde auch gesagt, daß der Film von dem eigentlichen Geschehen auf der Bühne ablenke und es schwer gewesen sei, sich danach wieder voll und ganz auf die Schauspieler zu konzentrieren. Uns, dem Redaktionsteam, erschien es so, daß durch den Film die eigene Vorstellungskraft unterdrückt wurde. Man hat gar nicht mehr ersucht, sich eigene Bilder zu den Texten vorzustellen.

Kritisiert wurde bei der Diskussion auch, daß einiges an Hintergrundwissen notwendig gewesen sei, die einzelnen Szenen alle richtig verstehen zu können. Dadurch wirkte das Stück auf einige zu intellektuell und schwer verständlich. Ein roter Faden oder eine Chronologie wäre hier vielleicht ganz hilfreich gewesen, aber dadurch, daß das Stück kein Drama, sondern eine Collage sei, habe die Gruppe absichtlich darauf verzichtet. Die Gruppe erzählte auch, dass sie zwischenzeitlich alle Szenen mit (brechteigenen) Zwischentexten verbunden habe, das aber sei sehr schnell wieder verworfen worden, weil das Stück dadurch zu konstruiert und mühsam erschienen sei. Einige Zuschauer fühlten sich verunsichert durch die Kontaktlosigkeit des Brecht Darstellers zum Publikum.

Allerdings sei das, laut Meinung der Gruppe, nötig, da Brecht keine Hauptfigur in dem Stück spielen solle und die körperliche Darstellung Brechts nicht realitätsgebunden sei. Brechts Charakter solle durch die Texte dargestellt werden und nicht durch den Schauspieler. Auf die Frage, warum die Gruppe diese Seite von Brecht zeige, antworteten sie, daß sie neue, fast unbekannte Eigenschaften von ihm zeigen und ihn nicht als Macho und politisch engagierten Autor darstellen wollen, sondern als Brecht, den Liebenden.


Als störend wurde das Umblicken der Schauspieler beim Verlassen der Bühne empfunden. Es sei zwar gewollt, gewesen, wurde aber von vielen als unpassend angesehen, weil es größtenteils nicht zu dem Charakter der jeweiligen Person passte.

Die Theatergruppe, die aus 14 - 27jährigen Schauspielern besteht, richtet sich mit diesem Stück nicht an eine bestimmte Zielgruppe, sondern will alle ansprechen und einen Gegensatz zur Schnellebigkeit unserer Zeit setzen. Mehr wollten sie nicht ausdrücken, alles andere sei Interpretationssache.

Nicole Klebig
Spotlight - Zeitung der Theaterwoche Korbach - Nr. 2 19.05.1998


Die Szenen überzeugten

Korbach, "The Wild Bunch" aus Berlin sind in Korbach keine Unbekannten. Seit ihrem ersten Auftreten 1986 als Schulgruppe des Robert-Koch-Gymnasiums boten sie hinreißendes Theater in ihrem besonderen Aufführungsstil, der Bewegung und Mimik in den Vordergrund stellt. Man denke an die Stummfilmversion von "Dr. Caligari", an die Dramatisierung von E. A. Poe's Erzählung und eines spanischen Märchens. Vor diesem Hintergrund enttäuscht die diesjährige Produktion: Sie hinterläßt den Eindruck des Unfertigen.

Aus der Theater-AG ist eine Jugendtheatergruppe geworden. Im Jubiläums-Jahr zu Brechts 100. Geburtstag wollte die Gruppe einen Beitrag leisten, anders als auf professionellen Bühnen. Dazu mußte die Genehmigung der Brecht-Erben eingeholt werden. Die Gruppe interessierte das Thema Liebe in Brechts Gedichten und Briefen. Brecht sollte nicht als Macho dargestellt werden; die Auswahl der Gedichte erfolge aus einem positiven Blickwinkel, thematisiert aber doch die Beziehungslosigkeit zwischen den Liebenden, die Unmöglichkeit des Zusammenkommens.

Die Stäkre der Gruppe liegt im Episch-Erzählenden und nicht im Dramatisch-Dramaturgischen. Das ist tatsächlich die Schwäche. Es ist zwar von einem Stück die Rede, aber aus der Collage ist keine Stück entstanden.

Der Auftakt mit der "Gardinenpredigt" ist witzig. Rechts im Vordergrund sitzt ein Spieler mit den Attributen Brechts: Schiebermütze, Zigarre und Brille mit dem Rücken zu den Zuschauern. An ihn richtet sich ein Mädchen mit der Gedichtzeile "Tue mir also den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr", die der Collage den Namen gibt und die Person Brechts damit einbezieht. Der Spieler bleibt die meiste Zeit dort sitzen, so als würde er die Gedichte schreiben, die aber nicht chronologisch eingeordnet sind.

Das medium Film wird einbezogen: Brecht rezitiert einen Brief "An Elisabeth Prinzessin Bibesco" - Der Schauplatz weitet sich zu einer Seenlandschaft, zum Portal des Hotel Savoy: im Brief an Casper Neher aus dem Kriegsjahr 1918 zum Kriegsschauplatz. Viermal werden filmische Beiträge eingesetzt. Sie enthalten interessante Aspekte, sind aber insgesamt zu lang und lenken mitunter von dem ab, was man hört.

Die Collage ist eine lose Aneinanderreihung von visualisierten Gedichten und Liedern; am besten sind die Szenen, die als Szene gestaltet sind: zum Beispiel Lied der Melinda, Lied vom Weib des Soldaten. Die Produktion verweist auf die Vielfalt, in der Theater gemacht werden kann, auch wenn sie noch nicht ausgereift ist.

 Inge Peroutka-Häusler
HNA - Waldeckische Allgemeine, Korbach, 20.05.1998


Liebt mich nicht zu sehr!

Im Rahmen des "16. arbeitstreffens SCHULTHEATER Berlin ´98" stellte die Gruppe "The Wild Bunch" des Robert-Koch-Gymnasiums Szenen vor, die "Brecht als Liebenden" thematisierten. Auf der Suche nach "ihrem Brecht" beschäftigten sich die Jugendlichen (die jahrgangsübergreifende AG bindet auch "Post-AbiturientInnen", die das Theaterspielen nicht missen können oder wollen) mit seinen Gedichten, Briefen und Liedern. So entstanden unter Anleitung der Spielleiterin Ilka Felcht Szenen, die weniger episch als mehr leidenschaftlich Liebe, Lust, Angst, Klage, Anklage, kurs: "Lieben in einer schlechten Zeit" zum Inhalt hatten.

Schon zu Beginn geschah die sinnliche Einstimmung der ZuschauerIn über das Sehen und Hören hinaus. Auf dem rechten vorderen Rand saß der junge Brecht an einem kleinen Schreibpult, schreibend, dichtend und vor allem Zigarre rauchend. Es stank. Was zumindest die ZuschauerInnen in den ersten Reiehen übereinstimmend feststellten. Eine allgemeine Ungewaschenheit, über den Tabakatem hinaus, war dann auch Inhalt der "Gardinenpredigt" einiger Geliebter Brechts. Die vorwurfsvolle Aufzählung von störenden "schlechten Angewohnheiten" des Genies wurden jedoch immer wieder entkräftet durch bewundernde, schmachtende, verliebte und diensteifrige Blicke der Gespielinnen. (Die Tatsache, daß "seine" Frauen auch eifrige (Mit-)Produzentinnen seiner Arbeiten waren, war nicht Gegenstand der szenischen Betrachtungen, sie wurde wohl als inzwischen bekannt vorausgesetzt.)

Etliche Texte fanden ihre einfallreiche Untermalung durch großformatige eingespielte, im letzten Sommer / Herbst von der Gruppe aufgenommene Videos. Die betreffende SchauspierIn auf der realen Bühne fungierte zunächst einleitend, dann kommentierend oder, wie der Zuschauer, ebenfalls betrachtend. Wenig war bierentst, gerade duch die Filme gab es viel zu lachen, aber kein Weglachen vom Thema. Die Tragik der Liebe ist bei Brecht zumeist auch eine komische, so wie bei der Gräfin und dem Förster oder die Forderung einer Patientin nach ihrem geregelten Geschlechtsverkehr vor den, nicht nur, peinlich berührten Ärzten.

Liebe- und lustvoll umgesetzt war auch Brechts brieflich dokumentierte, wohl permanente Angst vor unfreiwilliger Zeugung von Nachwuchs - dominiert von der Befürchtung, diesem "fassungslos" gegenüberzustehen. Die Videosequenz zeigte eine Horde von wilden, brechtisch bebrillten Kindern, die den Meister wahrlich um seine Fassung und sein auch äußeres Gleichgewicht brachte.

Eindrucksvoll besang eine Frau die von ihrem Mann erhaltenen Beutestücke aus den eroberten Ländern, während andere "Soldatenweiber" von der Decke baumelnde alte Briefkästen öffneten, um die jeweiligen Gaben unter Gekicher und mit verhaltener Freude und Eitelkeit in Empfang zu nehmen. Hinter der singenden Soldatenfrau wurde der Beutezug durch eine sich im Laufschritt bewegende Gruppe Uniformierter verdeutlicht. Mit ihr, in ihr, lief auch schon der Tod, grotesk und lebhaft, um dann bei der letzten Strophe aus der Gruppe auszubrechen und deutlich die "Gabe" des weiten Rußland zu demonstrieren - die kichernden Weiber erstarrten in ihrer Bewegung und Mimik.

Nicht unwesentlich für das Gelingen dieser Collage ist das schauspielerische und stimmliche Vermögen der Mitwirkenden. Die nicht einfachen, weil oft vieldeutigen Inhalte bedürfen eines guten Vehikels, um beim Zuschauer anzukommen. Das leichte Augenzwingern, der akzentuierende Hüftschwung, ein kleines Innehalten im Spiel können entscheidende "Transportfaktoren" sein. Durchgängig trugen die DarstellerInnen ihre Rollen ( die im eigentlichen Sinne keine waren, vielleicht von Brecht abgesehen), es bedarf keiner wohlwollenden, aber nichtsdestotrotz schmälernden Hinweise auf "Schülertheater" und "work in progress" etc. Das war eine gelungene Theateraufführung für ein breites Publikum. Unfertig lediglich in dem Sinne, daß die Collage noch größer, vielleicht bunter (und hoffentlich nicht wesentlich verändert) werden soll, wenn sie sich am 3. und 4. Juni auf die Bretter der Probebühne des Berliner Ensembles wagt und Teil des dortigen Brecht-Sommers werden wird.

Carola Thiede
SpielART, Berlin
Nr. 9, 3. Jahrgang 1998


Schülerstimmen zu Aufführungen

Das Theaterstück war aufgrund seiner unterschiedlichen Darstellung von Liedern, Gedichten und Briefen sehr abwechslungsreich.

Die Unterstützung der Briefe durch Videofilmeinspielungen war höchst interessant und machte das Verstehen der Briefe um einiges leichter. Auch die Untermalung durch die Musik prägte die einzelnen Szenen. Durch sie wurde die Spannung erhalten.

Das einzige Problem, welches ich hatte, war das Verstehen des Zusammenhanges. Ob nun die einzelnen Szenen in Zusammenhang stehen oder ob sie einzelne Teile Brechts Lebens oder ob sie Werte des Dichters in abgewandelter Form darstellten, war schwer zu erkennen.

Jedoch wurde Brecht letztendlich, durch die gute Darstellung der Akteure sowie die gute Umwandlung der Worte Brechts in Handlungen, in einer Form dargestellt, in der er uns noch einmal lebendig erschien.

Andrea, Schülerin

 

Mir hat die Szene mit dem Engel unter anderem gut gefallen. Auch das Einspielen der Filme fand ich gut.

Als Schauspieler haben mir der Brecht und das Mädchen, das unter anderen den Engel gespielt hat, gefallen.

Ich finde, die Theatergruppe hat eine sehr gute Aufführung geboten

Unbekannt

Ich denke ja, Brecht muß zu seinen Lebzeiten verachtet und verschmäht worden sein. Selbst 80 Jahre später, also mehrere Generationen, wirkt es noch sehr deftig.

Bestimmte Moralvorstellungen gibt es auch heute wie damals (und damals erst recht), eben "immernoch" - muß es ja auch.

Ich glaube, wenn man vorher schon genauer weiß, was man zu erwarten hat, reagiert man ganz anders (ich meine vor allem die Szene mit dem Engel).

Ansonsten finde ich, daß das ganze klasse war und gerade der Einbau von Filmausschnitten kommt super 'rüber. Dadurch und mit den gesungenen Parts wirkt das ganze aufgelockert und alles andere als trocken und langweilig.

Ich denke, man kann das Stück als Herausforderung betrachten.

Kardine, Schülerin

Die Aufführung hat mir gut gefallen. Am besten jedoch das erste Lied bei dem Mädchen und Junge im Duett "Surabara-Johnny" und teilweise zweistimmig gesungen haben.

Mir ist jedoch aufgefallen, daß viel Text abgelesen wurde, vielleicht war es auch ein darstellendes Mittel und beim Ab- bzw. Vorlesen wurde auch oft gestockt, vielleicht zu oft. Die Auswahl des Stückes war gut, obwohl mir der "fickende Engel" nicht ganz so zugesagt hat. Das Ende fand ich auch sehr gut gemacht mit den "laufenden" Männern, die dann aus Rußland nicht mehr zurückkamen.

Mit dem Film auf der Leinwand haben sie die Vorstellung etwas aufgelockert und er war auch gut gemacht - alles in allem - typisch Brecht.

"Bravo"

Wiebke, Schülerin

Die Brecht-Revue war im Großen und Ganzen ein beeindruckendes Stück. Die Darsteller haben die Szenen fließend gespielt und gut gestaltet. Sehr gut fand ich, daß die einzelnen Stücke kurzgefaßt waren und immer wieder neue Themen angeschnitten wurden. Dadurch trat keine Langeweile auf. Die eingebrachten Gesänge haben gut zum Stück gepaßt und mir auch sehr gefallen.

Was ich persönlich nicht so gut fand, waren die eingesetzten Filmszenen. Ich fand, daß sie einfach zu langezogen waren.

Die Szene mit dem kleinen, süßen Engel war aus meiner Sicht die allerbeste. Er hat das Publikum sowohl geschockt als auch amüsiert. Natürlich waren alle Szenen für sich gut, nur diese hat gerade mir am Besten gefallen, weil sie auch sehr locker rübergebracht wurde.

Die Darsteller sind zu bewundern, soviel Mut und Ausdauer könnte ich nicht aufbringen. Ein wirklich großes Lob!

Janett, Schülerin

 

Die Aufführung hat mir sehr gut gefallen.

Besonders gut fand ich die Kombinantion von Briefen und Filmen. Die Darsteller haben ihr Programm sehr gut rübergebracht. Ich war positiv überrascht, da ich mir vorher nicht so richtig vorstellen konnte, was mich erwartet.

Anne Menziel, Schülerin

Tue mir also den Gefallen und liebe mich nicht zu sehr.

Wenn man den Titel hört oder liest, ahnt man noch nicht was auf einen draufzukommt. Mir hat das Theaterstück gut gefallen. Besonders gut fand ich Bertolt Brecht und den Tod am Ende des Stückes. Aber auch der Engel war super. Durch die Lieder und die Videofilme wurde das Stück so aufgelockert, daß es die ganze Zeit spannend war und man gut zuhören konnte.

Was ich noch gut fand, war daß alle Schauspieler in unserem Alter waren. Teilweise fiel es mir allerdings schwer, den roten Faden zu behalten und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen zu erkennen. Trotzdem ein großes Lob an alle Schauspieler und Mitwirkenden.

Martina, SchülerinIch war bereits bei zwei weiteren Vorführungen des Wild Bunch und muß leider anmerken, daß die anderen Stücke besser vorgetragen und witziger waren. Mein nicht so guter Eindruck ist jedoch auch auf die Atmosphäre zurückzuführen, da eine Cafeteria eher für die Pausen als für Theatervorführungen gedacht ist

Nico, 18 Jahre, Schüler

 Das Stück war von der Auswahl der Lieder, Gedichte und Texte sehr gut. Auch die Gestaltung hat es sehr aufgelockert, wodurch Brecht auf keinen Fall langweilig erschien, eher spannend und mitreißend. Durch die Videoeinspielungen wurde das Interesse der Zuschauer erhöht, wodurch die Aufmerksamkeit aufrecht erhalten blieb. Auch die Gleichaltrigkeit zwischen dem Publikum und den Schauspielern regte an, das Stück aufmerksam zu verfolgen.

Allerdings fiel es mir schwer, den Zusammenhang zwischen den einzelnen Auftritten zu erkennen, so daß ich ein wenig verwirrt war. Durch die gute Darstellung der Texte durch die Akteure kann man diese kleine Kritik jedoch vernachlässigen, da Brecht so lebensecht und begeistert dargestellt wurde, wie ich es noch nicht erlebt habe.

Lina, Schülerin

 

Die Lispelolle war super

Unbekannt, SchülerIn

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